Heute möchte ich einer jungen Frau den Platz geben, ihre Gedanken mit uns zu teilen. Ich kenne sie seit vielen Jahren, unsere Wege kreuzen sich immer wieder und trotz aller Widrigkeiten, die sie erfahren musste, geht sie ihren Weg.
Sie ist stark und mutig. Und spricht mit ihren Worten wahrscheinlich vielen aus der Seele. Mich hat ihr Text zumindest tief berührt, da ich ihr so gut nachfühlen kann.
Liebe Andrea, vielen Dank für deine Offenheit. Du bist wundervoll.
Die Miststimme & ich
Vor knapp zwei Jahren las ich am frühen Morgen hier auf diesem Blog einen Artikel. Um Selbstzweifel ging es. «Bingo!», dachte ich, genau mein Spezialgebiet. Dass das Lesen dieses Artikels so viel in mir anstossen würde, dass ich schlussendlich heute diese Zeilen schreibe, war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht klar.
Niemals hätte ich daran gedacht, einen Text ins Internet zu stellen! «Wer sollte denn das lesen wollen? Du hast doch nichts zu sagen, etwas Spannendes sowieso nicht. Denkst du irgendjemanden interessierts, wie du dich fühlst?!» Das war die Miststimme aus dem Artikel. Und ja… ich kenne sie auch – mein treuer Begleiter seit über 20 Jahren.
Selbstzweifel kommen nicht über Nacht
Nachhaltig eingeimpft wurden mir meine Selbstzweifel bereits in sehr jungen Jahren. Zum Beispiel in dem Moment, als meine Kindergärtnerin mich vor allen anderen ausgelacht hat, weil ich anstatt IMAX (ein Kino) versehentlich ELMEX (eine Zahnpasta) sagte. Sie wusste nicht, dass ich mich so sehr gefreut hatte, ihr von diesem Erlebnis zu erzählen. Und dass ich noch Jahre später solche Angst haben würde, etwas Falsches zu sagen, dass ich lieber schwieg.
Oder als ich während meiner ganzen Kindheit immer wieder vermittelt bekam, dass ich nur mit langen Haaren und schönen Kleidchen gut aussah. Sie wussten nicht, dass ich viele Jahre noch das Gefühl haben würde, als Frau nicht zu genügen, weil ich optisch nicht der Norm entsprach.
Oder als ich jahrelang immer und immer wieder gesagt bekam, ich solle Lächeln. Sie wussten nicht, dass ich aufgrund meines Platzes im Autismus Spektrum natürlicherweise weniger Mimik besass als andere Kinder.
Und sie wussten auch nicht, dass ich nach über 20 Jahren würde merken müssen, dass ich meinen Unterkiefer nur noch mit ganz bewusstem Willen entspannen kann.
Weil ich immer brav gelächelt habe.
Sie wussten auch nicht, wie sehr es einer Kinderseele schaden kann, beim Gruppenwählen immer als Letzte übrig zu bleiben. Oder zu jeder erdenklichen Gelegenheit den eigenen Körper kommentiert zu bekommen. Selbstverständlich wurde dabei jeweils direkt klargestellt, dass nur schlank gut und schön ist.
Dass ich heute wieder mühsam lernen muss, wie man in den Bauch atmet, weil ich diesen über 20 Jahre lang angespannt und eingezogen hatte, das wissen sie nicht.
Es gäbe noch viele weitere Situationen, welche ich hier nennen könnte, in denen durch Un-Achtsamkeit und Un-Reflektiertheit die Selbstzweifel tief in meine Seele gelegt wurden. Mobbingerfahrungen kämen dann noch on top, sozusagen als Bonus. Aber darum soll es hier nicht gehen. Genauso wenig wie es darum gehen soll, meine Verletzungen auszuschlachten und mich in Mitleid zu suhlen.
Was ich will, ist ein Bewusstsein zu schaffen.
Bewusst für unsere Kinder
Verletzungen und Prägungen entstehen, wir alle verursachen sie auf die eine oder andere Weise. Auch ich habe schon verletzt. Können wir dem ein Ende setzen und Generationen von jungen Menschen ohne Selbstzweifel wachsen lassen? Nein, ich denke nicht.
Was wir aber tun können ist, uns bewusst zu machen, wo unsere eigenen Prägungen liegen. Was unsere eingeimpften Glaubenssätze sind. Und wir können uns entscheiden, ob wir uns damit auseinandersetzen wollen oder nicht. Und ja, das tut weh. Es braucht Kraft und Mut. Aber es befähigt uns auch, achtsam und bewusst mit unseren Kindern und Mitmenschen umzugehen. Wir können nicht alles verhindern, aber wir können anfangen.
Mit uns selbst.
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Ich freue mich auf deine Geschichte.
Deine
Corina
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