Mein Leben mit dem Ehlers-Danlos Syndrom

Schon einmal vom Ehlers-Danlos Syndrom, kurz EDS, gehört? Das ist eine genetisch bedingte, seltene Störung des Bindegewebes, die typischerweise zu hypermobilen Gelenken, stark elastischer Haut und schwachem Gewebe führt.

Das Krankheitsbild ist komplex, geforscht wird viel zu wenig. Umso wichtiger, dass auf die verschiedenen Syndrome aufmerksam gemacht wird. Und genau das passiert diesen Monat. Der Mai ist nämlich der internationale EDS-Awarness Monat. Mit verschiedenen Aktionen wollen Betroffene und ihre Angehörigen auf die seltene Krankheit aufmerksam machen.

So auch Sarah Staub. Die Theologin lebt seit 2022 mit der Diagnose EDS und erzählt uns, wie die Krankheit ihren Alltag beeinflusst und wie wir mit unseren Kindern über das Thema „Behinderungen“ sprechen können.

Liebe Sarah, wie hat sich dein Leben seit der Diagnose verändert?

Einerseits war es einfach eine riesige Erleichterung, endlich zu realisieren, dass ich mir all die Symptome und Schmerzen nicht einbildete. Andererseits wurde ich nun auch etwas ernster genommen und bekam mehr Unterstützung von medizinischer Seite.

Das Leben mit Ehlers-Danlos Syndro ist nicht einfach. Trotzdem war es für Sarah eine Erleichterung, endlich eine Diagnose zu haben.

Wie äussert sich die Krankheit in deinem Fall?

Es wechselt ab und unterscheidet sich in der Intensität. Das, was mich im Alltag am meisten einschränkt, sind die chronischen Schmerzen und die chronische Erschöpfung, meine instabile Halswirbelsäule und die vielen Probleme in meinem Verdauungstrakt. Ansonsten subluxiert ständig irgendwo ein Gelenk oder eine Sehne (z.B. rutscht die Schulter aus dem Schultergelenk oder die Kniescheibe aus der Kniepfanne), ich habe Tachykardien, wenn ich aufstehe (eine Überschreitung der altersüblichen Herzfrequenz), Wahrnehmungsstörungen und Mühe, mich im Raum zu orientieren. Ich habe viele Unverträglichkeiten und allergische Reaktionen, weil meine Mastzellen überaktiv sind. Ich leide unter Schlafstörungen und noch viel mehr – ich bin ein Überraschungspaket!

Wo behindert dich die Krankheit im Alltag? / Welchen Schwierigkeiten musst du dich mit ihr stellen?

Abgesehen davon, dass die vielen Symptome sehr schwierig zu managen sind, ist es vor allem ausserhalb meines kleinen Alltagskosmos behindernd. Zuhause bin ich eingespielt. Draussen wird’s schwieriger. Spontanität ist herausfordernd (obwohl ich ein sehr flexibler Mensch bin) – aber ich muss immer alles bedenken (brauche ich Hilfsmittel, Medikamente, Essen, ist es barrierefrei, kann ich Pausen machen). Ich muss auch immer in die Zukunft denken, denn ein Körper mit Ehlers-Danlos Syndrom reagiert meistens verspätet mit teils krassen Symptomen. Es ist immer wieder schnell zu viel, zu schwer, zu heiss, zu weit etc. – aber das vergesse ich schnell, wenn ich abgelenkt bin.

Die Ehlers-Danlos Syndrome sind Bindegewebsstörungen, die selten und sehr vielfältig auftreten.

Ich habe zum Beispiel kürzlich bei einem schönen Abend mit Freundinnen vergessen, dass ein paniertes Schnitzel nicht glutenfrei ist. Ich war abgelenkt und habe davon probiert. Am nächsten Tag konnte ich nur noch mit einer harten Bauchbandage aufstehen, weil mein Bauch so angeschwollen war und so schmerzte. Und es ist schwierig unsichtbar behindert zu sein. Menschen verstehen nicht, dass ich z.B. in engen Räumen mit vielen Menschen immer noch Maske trage, oder wieso ich, als fit aussehender Mensch manchmal einen Stock brauche – und manchmal wieder nicht. EDS ist eine dynamische Behinderung. Da sieht jeder Tag anders aus.

Oh, und die SBB, die ist für mich das schlimmste: Die Sitze sind sehr unbequem für Menschen, die nicht genügend Stabilität in ihrem Nacken haben und die Umsteigezeit ganz oft zu kurz.

Was müssen die Leute unbedingt über EDS wissen?

Dass es EDS gibt und es zwar nicht viele betrifft – aber je früher man davon weiss, desto mehr kann man unterstützend machen. Es dauert im Durchschnitt 14 Jahre, bis man mit dem Syndrom diagnostiziert wird. Das ist eine unfassbar lange Zeit. Wäre ich bereits als Kind diagnostiziert worden, hätte ich viele Beschwerden auffangen oder zumindest noch weiter hinauszögern können.

Übrigens: Falls Eltern den Verdacht haben, dass ihre Kinder EDS haben könnten, achtet auf folgende Merkmale:

  • Überflexible und lose Gelenke, die sich leicht verschieben (Kleinere Gelenke sind stärker betroffen, Menschen mit dem Ehlers-Danlos Syndrom verknoten sich auch mit dem Körper, um zusätzlich Stabilität zu gewinnen – z.B. halten sie Stifte oder Besteck ganz komisch oder nehmen beim Sitzen oft die Beine hoch)
  • Gelenkschmerzen
  • Dehnbare und zerbrechliche Haut, die leicht blaue Flecken hinterlässt
  • Weiche und samtige Haut
  • Nicht heilende geschädigte Haut
  • Muskelschmerzen
  • Andauernde, extreme Müdigkeit (Fatigue) und Schlafstörungen
  • Schwindel
  • Erhöhte Herzfrequenz, insbesondere nach dem Stehen
  • Magen-Darm-Probleme (häufige Bauchschmerzen/Krämpfe, Verstopfung/ Durchfall, Verdauungsprobleme)
  • Harninkontinenz
  • Herzklappenprobleme
  • Vorstehende Augen
  • Kopfschmerzen
  • Zahnprobleme
  • Hör-, Gleichgewichts-, Sprachentwicklungs- und Stimmstörungen

Die Symptome sind recht diffus und es ist schwierig, zu diagnostizieren. Das Kinderspital in Zürich z.B. hat eine extra Sprechstunde für seltene Erkrankungen. Da gibt’s eine Anlaufstelle. Übrigens fände ich es noch viel besser, Menschen und gerade medizinische Fachpersonen würden auch seltene Erkrankungen besser kennen und wissen, dass nicht alle Behinderungen sichtbar sind. Sich zu Krankheiten und Behinderungen zu bilden, ist meiner Meinung nach für alle Menschen notwendig – denn nur 3% aller Behinderungen sind, wie meine, genetisch bedingt.

Von den 2.3 Mio. Menschen mit Vorerkrankungen in der Schweiz, von denen 1,7 Mio. als Menschen mit Behinderungen definiert werden, sind viele unsichtbar. Sie müssen aber dringend sichtbarer werden – zum Beispiel in der Politik: Wie kann es sein, dass wir 20% der Bevölkerung ausmachen und trotzdem nur mit drei Nationalratsmitglieder vertreten sind? Es müssten gemessen an der Anzahl 44 sein. Daneben stellt die Landwirtschaft, die 2,5% der Gesamtbevölkerung ausmacht, 30 Vertretende im Parlament. Das ist eine Ungerechtigkeit, die mich wütend macht.

Die instabile Halswirbelsäule. Sarahs ständiger Begleiter und typisch für EDS.

Was wäre dein Wunsch an deine Mitmenschen?

Das sich Menschen zu Krankheiten und Behinderungen bilden und vor allem die Scheu ablegen vor dem Wort «Behinderung». Das ist kein Schimpfwort, sondern einfach ein normales Wort, dass die Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen beschreibt. Und ich wünsche mir, dass Menschen in ein gutes Gesundheitssystem investieren und auch sich politisch für Gleichstellung einsetzen.

Kinder stellen viele Fragen. Gerade auch, wenn sie auf Menschen mit sichtbaren Behinderungen treffen. Wie sollen Eltern deiner Meinung nach darauf reagieren?

Wenn Kinder auf der Strasse Fragen stellen, scheut euch nicht, diese direkt zu beantworten. Behinderte Menschen müssen nicht als eure Auskunftsstelle fungieren und nicht alle mögen es, wenn man den Kindern sagt «sie sollen selber nachfragen». Antwortet einfach mit dem, was ihr seht: Zum Beispiel könnte man bei mir sagen «Ich glaube, diese Frau benützt den Stock, weil sie nicht gut laufen kann oder Schmerzen hat.» Falls das Kind noch mehr Neugier verspürt, könnt ihr es zuhause und im Alltag aufgreifen. Das geht übrigens auch hervorragend mit Büchern. Wie z.B. „bist du behindert, oder was?“ von Rebecca Maskos und Mareice Kaiser. Ganz wichtig: bitte habt keine Scham eurem Kind die richtigen Begriffe beizubringen. Behindert ist kein Schimpfwort. Es ist – nochmal – einfach eine Lebensrealität. Nicht mehr, nicht weniger.

Sarah teilt ihre Geschichten & Gedanken übrigens auf reflab.ch. Während dem EDS-Awarness Monat läuft sie für den guten Zweck. Alles über ihre Spendenaktion erfährst du auf ihrer Fundraising-Seite.

Noch mehr Infos zu dieser seltenen Bindegewebserkrankung findest du einerseits auf Ehlers-Danlos Netz Schweiz oder bei der Ehlers-Danlos Society (engl.).

Magst du die Reihe „mein Leben mit…“ fortsetzen? Was ist deine Geschichte? Gibt es ein Tabu, mit dem du brechen möchtest? Ein Thema, das dir am Herzen liegt? Eine Krankheit, auf die du sensibilisieren willst? Schick mir gerne eine Mail an corina@mama-kann-das.com. Ich freue mich, von dir zu hören.

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Corina

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